Büchners "Sonne"

Üblicherweise steht die Sonne als "Symbol  des Lebens für Bewusstsein, göttliche Erkenntnis und Selbstreflexion" (Metzlers Lexikon literarischer Symbole). Auch das Büchner-Handbuch folgt dieser Erklärung. Das macht bei Georg Büchner weder im >Woyzeck< noch in >Dantons Tod< Sinn, sondern führt zu völlig falschen Interpretationen. Wenn Danton in einer einschlägigen Passage sagt: "Es ist, als brüte die Sonne Unzucht aus", dann verwendet er diesen Begriff nicht als Symbol für das Licht der Sonne, sondern als Allegorie ihrer Hitze, d.h. die Sonne ist (weiblich) sexuell konnotiert. Desgleichen taucht der Begriff in der Straßensezene im Revolutionsdrama auf, wo die Eltern die Prostitution ihrer Tochter verhandeln und die Mutter selbige rechtfertigt und sich dabei "in der Sonne wärmt". Auch Shakespeares Hamlet metaphorisiert seine Mutter als "Sonne". In der Hauptfassung des >Woyzeck< bezeichnet Marie sich als Sonne kurz nach dem prekären Satz über das Kind, das ihr einen Stich ins Herz gibt. Anschließend spricht Woyzeck über seine Mutter, die nur noch fühle, wenn ihr die Sonne auf die Hände scheint. In der Wirtshausszene beklagt Woyzeck die "heißen Hände" Maries. Wenn Woyzeck in Anbetracht Maries, dies sich mit dem Tambourmajor vergnügt voller Verzweiflung darum fleht, das Gott die Sonne ausblasen soll, weil sich alles in Unzucht übereinander wälzt, dann hat die Sonne hier exakt die gleiche Bedeutung wie im Revolutionsdrama. Nicht zu vergessen ist die Spiegelung der in diesem Sinn konnotierten Sonne in den kleinen goldenen Mücken der Märchenparabel, wobei die 'Mücken' bei Büchner diese Bedeutung noch einmal unterstreichen, denn im Revolutionsdrama wie auch im Woyzeck sind selbige dadurch charakterisiert, dass sie es einem "auf den Händen treiben". 

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